Brauchtum

Fasnacht in Heiterwang

1937 veröffentlichte der damalige Schuldirektor Hans Schedle im „Neuen Außerferner Boten" einen Artikel mit dem Titel „Faschingsbräuche in Heiterwang", der im folgenden auszugsweise wiedergegeben werden soll, weil darin die lebendige Fasnachtstradition prägnant geschildert wird: „Die Schönheit und Buntheit des Fasnachtstreibens in Heiterwang zeigt sich am vollständigsten bei Maskenzügen, wie sie in Heiterwang schon oft veranstaltet wurden. Da arbeitet dann die ganze Gemeinde mit. Jeder ist stolz auf den guten Ruf, den das Dorf in diesen Belangen hat. Diese Maskenumzüge sind sehenswert, da wird das Können aller zu einem Ziel vereinigt und so werden da wirklich gediegene Stücke gezeigt, zum Beispiel „Die Sieben Schwaben; ich glaube, ein so gelungenes Fasnachtsstück wird man selten sehen können, Bärentreiber, Zigeuner- und Mohrenpaare, Hexen, ein Prinzenpaar, eine Indianerbande und viele andere, alles urwüchsig und naturgetreu gestellt.

Ein interessanter Brauch ist der Handwerksburschentag. Am Montag vor dem Unsinnigen Donnerstag gehen alle Burschen zusammen 'Maschgere' als Handwerksburschen. Sie kommen in die Häuser und stellen möglichst viel auf den Kopf; einige schleichen in die Küche und suchen etwas Essbares. Einmal seien in einem Haus plötzlich zwei mit einem Kessel voll gesottener Kartoffel, die Löffel seien im Kessel gesteckt, in der Stube erschienen, hätten den Kessel mitten in der Stube auf den Boden gestellt und unter großem Geschrei und Gelächter seien die Kartoffel verzehrt worden. In früheren Jahren ging es viel gröber und rauer her. So wird erzählt, dass früher Burschen, wenn sie noch zu jung waren, wenn sie beim 'Maschgere go' erwischt wurden, unbarmherzig in den Brunnen getaucht wurden.

Im Fasching werden auch 'Gunglhous' veranstaltet. Diese Unterhaltungen sind überall in der Umge­bung noch im Brauch. An einem Maschgeretag ladet eine Bäuerin Mädeln zum 'Huagärte' und Tanzen ein. Man ratscht, tanzt und lässt sich die guten Sachen der Bäuerin schmecken; wenn die Zeit zur Stallarbeit kommt, rüsten sich die Gäste zum Heimgehen. Inzwischen haben Burschen, die nicht dabei waren, sich um das Haus herum mit Kuhglocken und Schellen versteckt; sobald die Mädeln vor das Haus kommen, laufen die Burschen herzu und schellen und läuten aus Leibeskräften. Sie begleiten jedes Mädchen mit mächtigem Lärm heim. Da kann dann auch manchmal ein Mädel laufen, hinter ihr eine Horde jauchzend und schellend.

Bei einem 'Gunglhaus' machen die Burschen gerne auch noch andere lustige Streiche. Sie verstopfen den Kamin mit Hadern und Rasenstücken oder stehlen die Herdringe, während die Frauen in der Stube tratschen und tanzen. Da gibt es dann ein unbändiges Gelächter mit Gespött bei den Burschen und in der ganzen Nachbarschaft, wenn einer von den Hausleuten auf das Dach steigen muss, den Kamin ausräumen oder zum Nachbar geht, Herdringe zu leihen".

Die Heiterwanger Fasnacht hatte aber nicht immer nur Befürworter wie den Lehrer Hans Schedle. Pfarrer Josef Reinstadler (1828 - 1832) war der erste, der mit den Fasnachtsbräuchen in Heiterwang keine besondere Freude hatte. Er war - wie es in der Pfarrchronik heißt - „ein Feind der in der daigen Gemeinde üblichen, die Grenzen allen Anstandes sowie der Zucht und Ehrbarkeit überschreitenden Fasnachtslustbarkeiten, die nach dem Geschmacke eines rohen, verwilderten Volkes auch roh und wild genug gewesen sein müssen und in wildem Geheule, Peitschenschnalzen, Schemenlaufen, Tanzen und dergleichen ihren Ausdruck fanden, die ganze Zeit von Dreikönig bis Aschermittwoch währten und nicht bloß den Tag sondern auch die halbe oder ganze Nacht in Anspruch nahmen, wobei sich darüberhin beide Geschlechter beteiligten".

Ein großer Verbündeter der Heiterwanger war aber der ehemalige Pfarrer und nach seiner Absetzung als Frühmesser in Heiterwang tätige Franz Spipiller, dem bisweilen nachgesagt wird, dass er den Fasching erst ins Leben gerufen habe. Die Stiftung des 30stündigen Gebetes im Jahre 1834 war sozusagen als Art Buße für die in der Fasnacht begangenen Sünden gedacht. Ein zweiter, kurzzeitig auch erfolgreicher Versuch, die Fasnachts­bräuche in Heiterwang zu unterbinden, fand im Jahre 1897 statt. „Auf Grund des Gemeindebeschlusses vom 1. Jänner 1897 wird hiemit zur allgemeinen Kenntnis gebracht, daß das Maskengehen strengstens verboten ist und deshalb unter Polizeiaufsicht gestellt ist. Im Falle, dass Zuwiderhandlungen gegen diesen Gemeindebeschluß vorkommen sollten, werden die Betreffenden im Sinne des § 27. G. O. zu einer Geldstrafe von 1 Gulden bis zu 5 Gulden, eventuell zu einer Arreststrafe von 1 Tag bis zu 8 Tage bestraft". Diese öffentliche Kundmachung der Gemeinde rief natürlich einen Proteststurm hervor. In einem von 20 Heiterwanger Männern unterschriebenen Brief vom 24. Jänner 1897 an die Bezirkshauptmannschaft Reutte wird um die Erlaubnis gebeten, die traditionelle Fasnacht unter der Auflage, „dass wir nur eine übliche Faschingsunterhaltung machen wollen und für Vermeidung jeder Ausschreitung bürgen", zu gestatten. Allerdings kam es am 30. Jänner zu nächtlichen Ausschreitungen wegen des Maskenverbotes und zu einer lautstarken Demonstration vor dem Hause des Gemeindevorstehers Ferdinand Kramer. Dadurch hatten die Befürworter der Fasnacht aber ihre Chancen verspielt und mit Schreiben vom 19. Feber 1897 bestätigte die Bezirkshauptmannschaft Reutte vollinhaltlich das Verbot der Fasnacht. Beruhigt konnte der Pfarrer 1899 notieren: „Heuer sind keine 'Maskengeher' mehr gewesen. Der Punkt erheischt noch Wache!". Wie recht der Pfarrer mit seiner Befürchtung hatte, zeigt die folgende Entwicklung. Die Heiterwanger Fasnacht flammte nach nur wenigen Jahren wieder auf. Die am Beginn des Kapitels zitierte Schilderung aus dem Jahre 1937 ist allerdings auch deshalb von Bedeutung, weil sie unmittelbar vor dem bekannten „Faschingsstreik" die Fasnachtsbräuche schildert. Im selben Jahr konnte man nämlich im „Neuen Außerferner Boten" vom 23. Jänner 1937 eine kleine Notiz lesen, die dem unvoreingenommenen Leser eher lustig vorkommt: „Am Montag, den 18. des Monats, fasste der Gemeindetag folgenden Beschluss: Allen weiblichen Personen ist das 'Maschgerngehen' strengstens untersagt. Die Heiterwanger Gemeindevertretung ist gewillt, diesem Beschluss mit allem Nachdruck Geltung zu verschaffen. Am Dienstag früh wurde der Beschluss, da er wichtig und sehr dringend zu sein scheint, vom Gemeindediener ausgeschellt, wobei es allerdings bedauerlicherweise zu einigen heiteren Szenen gekommen sein soll". Dass dieser Beschluss, der zunächst nur Heiterkeit hervorgerufen hatte, allerdings bitterer Ernst war, konnten die betroffenen Frauen schon kurze Zeit später feststellen. Da nützte auch ein Protestmarsch vor das Gemeindeamt nicht. Es ist auch zu bemerken, dass die Frauen bis zu einem gewissen Maß sogar im Recht waren, denn schon unter Pfarrer Reinstadler waren - wie das obige Zitat aus der Pfarrchronik belegt - „beide Geschlechter" an der Fasnacht beteiligt. Es brach nun ob des Verbotes ein Streit aus, der das Dorf für Monate in zwei Lager teilte. Mit den Frauen erklärten sich die Feuerwehr und die Musikkapelle solidarisch. Die Feuerwehr wollte sich auflösen und die Musik verweigerte jegliche Aufführung. Im Protokollbuch der Feuerwehr ist vermerkt, dass es zu keiner Wahl eines Kommandanten gekommen war, denn der gewählte Kommandant Adam Nagele „nimmt die Wahl nicht an und begründet das mit der Spannung, die infolge des Maschgererverbotes in der Gemeinde herrscht". Erst bei einer zweiten Generalversammlung im April 1937 konnte Adam Nagele zur Annahme der Wahl bewogen werden. Auf Jahre hinaus war jedoch durch diese Unstimmigkeiten einem lustigen Fasnachtstreiben die Basis entzogen. Auch die Jahre 1938 bis 1945 verhinderten eine Wiederbelebung des Faschings. Erst im Jahre 1949 erinnerte man sich der alten Bräuche. Karl Müller notierte in seiner Schulchronik: „Zum erstenmal nach dem Krieg ist wieder ein richtiges Faschingstreiben in unserem Dorf. Jeden Sonntag, Dienstag und Donnerstag ziehen die jungen Dorfburschen in allen möglichen Verkleidungen als Masken in den Abendstunden durch das Dorf. Der Hauptreiz für die Burschen liegt darin, nicht erkannt zu werden! Es ist das ein recht unterhaltsames Ratespiel an den langen Winterabenden". Im Jahre 1954 wurde die „Heiterwanger Fasnacht" in ihrer ursprünglichen Form eingeführt, sodass sogar die Tiroler Tageszeitung dieser Veranstaltung einen Artikel widmete. Seit dieser Zeit hat die „Heiterwanger Fasnacht" ihren festen Platz im Jahresablauf und konnte trotz mancher Warnungen vor neuen Einflüssen durch den Fremdenverkehr ihre Ursprünglichkeit bewahren. Zwar versuchte Pfarrer Peter Werner im Jahre 1962 durch die Einführung einer Gebetswoche die Heiterwanger Fasnacht zu verhindern. Am Donnerstag, den 25. Jänner 1962, rotteten sich jedoch 30 Bewohner Heiterwangs zusammen, um durch einen Maskenumzug dem Pfarrer zu zeigen, dass auch er auf Dauer die Heiterwanger Fasnacht würde nicht verhindern können. Pfarrer Werner kam ihnen insofern entgegen, dass er das Gebet um 17 Uhr beendete.            

Auszug aus der Gemeindechronik Heiterwang.